Wer denkt, das Prinzip der Sauna sei allein die geniale Erfindung der Finnen, der irrt. Verstreut überall auf der Welt haben sich die unterschiedlichsten Schwitzkulturen entwickelt. Doch auch wenn jede ihre individuellen Eigenarten hat, was Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder Zeremonie anbelangt, haben doch alle ein Ziel:?absolute Entspannung.
Die Sauna ist der größte Exportschlager Finnlands, kein anderes Wort aus dem Finnischen konnte sich so fest in Sprachen rund um den Globus verankern wie Sauna, der Raum aus Holz. Deshalb möchte man das skandinavische Volk auch gleich als die Entdecker des heilenden Schwitzens benennen, doch ein einzelnes Land kann sich dessen nicht rühmen – vielmehr wird und wurde schon seit Jahrtausenden auf der ganzen Welt geschwitzt, in vielen verschiedenen Variationen, einige konnten sich nicht bis heute durchsetzen, andere erleben in unserer wellnessbegeisterten und erlebnishungrigen Zeit eine Renaissance und wieder andere sind seit Generationen beständiger Marktführer im eigenen Land oder – wie die Sauna – weltweit.
Zeitgleiche Entdeckung
Etwa zeitparallel zueinander entwickelten sich rund um die Erde verstreut verschiedene Schwitzriten, die berühmteste natürlich die Finnische Sauna, die ihren Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach in Ostasien hat, wie man wegen der ältesten Funde eines Steinschwitzbads vermutet. Diese Ursaunen waren Erdhöhlen, in denen erhitzte Steine mit Wasser übergossen wurden – dem Prinzip blieb bis heute die Sauna treu. Über die Beringstraße verbreitete sich das Baderitual von Nordamerika nach Mittel- und Südamerika sowie nach Innerasien bis zum Ural. Von dort trat das Schwitzbad seinen Siegeszug bis zum Mittelmeerraum an, seine vorläufige Blütezeit erreichte es unter den Griechen und Osmanen, die es verstanden, aus dem einfachen Steinschwitzbad ein zelebriertes Transpirationserlebnis zu gestalten – mit den Thermenanlagen waren die ersten Wellnesstempel geboren. Auf dem Entwicklungsweg entfalteten sich die unterschiedlichsten Variationen, von Klima, Kultur, Religion und weiteren individuellen Eigenschaften des jeweiligen Landes geprägt. Allen gemeinsam stand das Bedürfnis der Menschen nach Reinigung im Vordergrund, denn ein eigenes Badezimmer war lange undenkbar.
Abgebrüht in Asien
Den Anfang machte die Schwitzkultur im asiatischen Raum und eine der wohl für westliche Maßstäbe ungewöhnlichsten Arten zu entspannen formierte sich hier: das Onsen in Japan. Neben Felsen- beziehungsweise Steinschwitzbädern haben die Japaner heute dem Onsen, einem Heißwasserbad, den Vorzug gegeben. Die geologischen Eigenschaften der Inseln vulkanischen Ursprungs schufen die Vorraussetzungen dafür. Fast 2.500 Kubikmeter mineralisches Wasser sprudeln pro Minute aus über 25.000 Quellen, die über das ganze Land verteilt sind, einige so heiß, dass sie als Jigoku, zu Deutsch Hölle, bezeichnet werden. Unter 40 Grad Wassertemperatur steigt auch niemand in die Becken, die sich im Freien befinden und oft spektakuläre Ausblicke bieten. Zu lange sollte man als ungeübter Europäer nicht in den heißen Becken bleiben und lieber vorher die Wassertemperatur testen, meist stehen drei unterschiedlich temperierte Becken zur Verfügung. Falls man doch Temperatur und Dauer unterschätzt hat, haben die Japaner mit yu-atari auch gleich ein eigenes Wort für das Schwindelgefühl nach dem Bad bereit.
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Ähnlich wie in Deutschland das einem Ortsnamen vorstehende „Bad“ auf einen Kurort hinweist, verhält es sich im Land des Lächelns mit einem nachstehenden „Onsen“. Ähnlich der Onsen-Anlagen haben sich Sentos etabliert, nur werden die Becken nicht mit Wasser vulkanischen Ursprungs gespeist, ihren Erfolg verdanken sie unter anderem dem Verbot privater Badezimmer aus Brandschutzgründen bis ins 19. Jahrhundert. In beiden Badeanlagen muss sich der Gast, bevor er nackt ins heiße Becken steigt, gründlich reinigen, denn das auf bis zu 56 Grad temperierte Wasser dient keineswegs zum Waschen. Beginge man diesen Fauxpas, riskierte man einen Verweis und der Sentobetreiber würde das Becken auslassen, säubern und neu Wasser einlassen müssen. Der richtige Ablauf lautet: Nach dem Betreten zieht man im Eingangsbereich die Schuhe aus, nach dem Entkleiden nimmt man auf einem kleinen Hocker Platz und reinigt sich im Sitzen mit Seife und Shampoo, anschließend übergießt man sich mit Wasser, denn Schaum darf nicht ins Onsen- beziehungsweise Sentowasser gelangen. Außerdem gehört ein kleines Handtuch zur Grundausrüstung, das dazu dient, den Schweiß von der Stirn zu wischen – auch das Handtuch darf nicht ins Badewasser gelangen. Auch wenn diese Regeln strikt eingehalten werden sollten, herrschen in Onsen und Sento eine gelockerte Atmosphäre, anders als in der sonst streng hierarchischen Gesellschaft in Japan, Klassenunterschiede sind hier aufgehoben, der Arbeiter kann neben dem Firmenboss schwitzen, nachbarschaftliche Kontakte werden gepflegt. Eine wohltuende Abwechslung zum stressigen japanischen Alltag. Weitere Regeln und Verbote betreffen die fast immer geltende Geschlechtertrennung und das Onsen- beziehungsweise Sentoverbot für tätowierte Menschen. In Europa wird die Körperkunst heute wohl niemanden schockieren, in Japan gilt offiziell diese Regel aus hygienischen Gründen, inoffiziell besteht sie, weil bei großflächigen Tätowierungen eine Verbindung zur Yakuza, der japanischen Mafia, gezogen wird.
Türkische Schönheitskur
Hunderte Kilometer westlich in der Türkei, aber auch in anderen arabischen Ländern, findet man das Hamam, das sich aus der griechisch-römischen Badekultur mit ihren Thermen entwickelt hat. In beeindruckender Architektur wie aus Tausendundeinernacht erfährt der Badende ein intensives Entspannungszeremoniell: Eingehüllt in ein kariertes Baumwolltuch, das Pestemal, betritt der Badegast einen warmen Raum mit hoher verzierter Deckenkuppel, der nach dem eigentlichen Hamam-Bad als Ruheraum genutzt wird. Doch zunächst geht es in das Dampfbad, in dessen Zentrum sich der Nabelstein, ein großes Steinpodest, befindet. An den Seiten finden sich Waschbecken und bereitgestellte Kupferschalen, mit denen man sich mit warmem Wasser übergießt. Nach der rituellen Waschung macht man es sich auf dem Nabelstein, auf dem mehrere Personen Platz finden, bequem und schwitzt bei 50 Grad und 65 Prozent Luftfeuchtigkeit. Von allen landestypischen Schwitzbädern ist das Hamam die Schönheitskur schlechthin: Nach dem porenöffnenden Dampfbad beginnt der Tellak genannte Bademeister seine eigentliche Arbeit, eine Prozedur aus Massagen und Peeling – dabei gilt die Devise hart, aber herzlich. Mit einem Ziegenhaar- oder Seidenhandschuh, dem Kese, wird der Körper abgeschrubbt, abgestorbene Hautschüppchen entfernt, das Bindegewebe gut durchblutet. Bei der Seifenschaummassage rückt der Tellak jeden noch so kleinen Knochen oder jedes Gelenk an den rechten Platz, da kann es schon mal knacken und knirschen. Dabei taucht der Bademeister einen kleinen Sack aus Leinen in eine Lauge aus Kernseife, pustet hinein, um ihn aufzublasen und drückt ihn, bis große Schaumflocken auf den Körper des Gastes fallen, der mit der Zeit unter einem wahren Berg an Schaummasse verschwindet. Etwa zwanzig Minuten dauert diese Prozedur, das Ergebnis ist Entspannung pur und eine deutlich reinere, schönere Haut. Auch hier waren wieder die früher fehlenden privaten Badezimmer Hauptgrund für das Florieren des Hamams in der Türkei, oft rasierten sich die Männer dort und die Frauen färbten sich das Haar. Im Mittelalter fanden auch die Kreuzritter am muslimischen Reinigungsritual Gefallen und brachten es in Form der Badestube nach Mitteleuropa. Obwohl von Anfang an vom Klerus als unmoralisch verpönt, führte erst die Pest zum Niedergang der Badestuben, da damals der Irrglaube bestand, dass Krankheiten über das Wasser ihren Weg in den Körper finden. Mittlerweile genießt man aber auch in Mitteleuropa den Service und das Ambiente des orientalischen Schwitzbads, viele Saunaanlagen und Hotels verfügen über ein eigenes Hamam.
Raue sitten in der Banja
Blickt man nun ein paar hundert Kilometer nördlich, findet man die nächste Verwandte der Sauna, ihre gröbere Schwester Banja in Russland. Es scheint, als fordere die sibirische Kälte noch mehr schweißtreibenden Einsatz als die skandinavische: Zwar liegen die Raumtemperaturen in Banja und Sauna ähnlich – oft begnügt sich das russische Pendant sogar mit weniger Hitze –, doch die dauernden Aufgüsse mit großen Wassermengen machen die Banjahütte zum Dampfkessel. Anders als die Sauna, die neben dem traditionellen Urtyp vor allem Varianten mit großen Zugeständnissen an den modernen Komfort bietet, ist die Banja der Innbegriff von rustikalem Schwitzgenuss. Genau wie die Sauna ist die Banja aus Holz gebaut, jedoch manchmal mit einem oberen Stockwerk ausgestattet. Im Idealfall besteht die russische Schwitzhütte aus drei Räumen: dem Schwitzraum, einem Waschraum und einem Erholungsraum, wobei die beiden letzten öfter zusammengelegt werden. Genau wie in der Sauna wäscht man sich vor dem Schwitzgang, das Wasser läuft zwischen Spalten im Dielenboden ab. In der authentischen Banja steht das kalte Wasser in Kübeln bereit und kann nach Bedarf mit heißem Wasser, das aus einem vom Banjaofen betriebenen Kessel gezapft wird, erwärmt werden. Außerdem stehen hier oft ein einfacher Tisch und Stühle für den Aufenthalt zwischen den Badegängen, in den Pausen wird gejaust und es wird mit Tee oder Bier nachgespült – daran sollte sich aber niemand ein Beispiel nehmen, wenn Bier, dann bitte nach dem Schwitzen. Apropos Alkohol: Natürlich darf das russische Nationalgetränk schlechthin nicht fehlen. Wodka gemischt mit Wasser wird gern als Aufgusszusatz verwendet, oft findet das eine oder andere Schlückchen nicht den Weg in den Aufgusskübel, sondern direkt in den Magen des Banjabesuchers. Und weitere Parallelen zeigen sich zwischen Sauna und Banja: Beispielsweise wird auch hier meist getrenntgeschlechtlich geschwitzt und ebenso das Quästen, also das Abschlagen mit einer im Aufgusswasser aufgeweichten getrockneten Birkenrute, hat hier Tradition – nur dass sie in Finnland Vitha beziehungsweise Vasta genannt wird und in Russland Wenik.
Spirituell schwitzen in Inipi und Temazcal
So ähnlich und doch so anders im Vergleich zur Finnischen Sauna zeigen sich die Badevarianten, die sich jenseits des großen Teichs in Nord-, Mittel- und Südamerika entwickelt haben: Temazcal und Inipi. Dabei handelt es sich um einfache Schwitzhütten, die zwar auch mittels übergossener heißer Steine erwärmt werden, jedoch steht hier ein religiöser, spiritueller oder gesundheitlicher Aspekt hinter dem Schwitzen, das richtiggehend zelebriert wird. Unterschiede finden sich bei den beiden Versionen besonders im Aufbau: Das aztekische Temazcal (von Temas = Bad und Calli = Haus) wurde früher aus luftgetrockneten Lehm- und später aus gebrannten Ziegeln erbaut, die Steine werden in einer angebauten Feuerkammer erhitzt. Das Inipi der nordamerikanischen Lakota-Indianer wiederum besteht nur aus einer Konstruktion von Weiden- oder Haselruten, die mit Stoffen abgedeckt wird, die Feuerstelle befindet sich außerhalb der Hütte und wird von einer nicht-mitbadenden Person bewacht, die auch die heißen Steine in die Hütte trägt und zwischen den Schwitzgängen Wasser reicht. Beide Schwitzhütten sind kuppelförmig aufgebaut und symbolisieren in ihrer Form den Bauch einer schwangeren Frau beziehungsweise Mutter Erde. Trommeln, rasseln und das Räuchern der Teilnehmer mit verschiedenen Kräutern gehört zu beiden Ritualen. Aber während im Inipi vor allem die Meditation im Vordergrund steht, sieht man beim Temazcal die Aufgabe der Stärkung der körperlichen und seelischen Gesundheit. Meist wird es auf 80 Grad temperiert mit geringer Luftfeuchtigkeit, das kann aber variieren, da die weiblichen Temazcaleras die Diagnose für den Gast stellen und so Dauer, Temperatur und Luftfeuchtigkeit festsetzen. Außerdem fächern sie die heiße Luft zu Körperregionen, die besonders erhitzt werden müssen, wie etwa der Rücken. Diese spirituelle Weise des Schwitzens findet auch in Europa immer größeren Anklang, besonders die Schwitzhütte Inipi dank ihrer einfachen Konstruktion. Um die Schwitzhütte traditionell leiten zu können, muss man aber erst von einem Schamanen eingeweiht werden.
Vertraute Fremde:?die Sauna
Und auch die traditionelle Finnische Sauna, die wir doch so gut zu kennen glauben, wird im Heimatland etwas anders gehandhabt als hierzulande. Beispielsweise schwitzen in Finnland Frauen und Männer meist getrennt oder der in Mitteleuropa so beliebte Duftzusatz für den Aufguss, der von Fichtennadel bis Grapefruit variiert, findet in Finnland keinen Absatz. Generell unterscheidet die Finnischen Sauna von der eingedeutschten Version der lockerere Verlauf der Badegänge: Denn während in deutschen Saunen schon am Eingang Schilder auf das Regelwerk des Transpirieren auf die Minute genau hinweisen, schwitzt man in Finnland ganz nach Gusto. Die Sauna war Wasch- und Wirtschaftsraum, Kernstück des Familienlebens und wurde – da es der sterilste Raum des finnischen Haushalts war – auch Behandlungszimmer für die Kranken und „Kreissaal“. Noch heute gibt es Finnen, die in der Sauna geboren wurden. Wie sehr die Finnen ihre Sauna lieben, kann man daran erkennen, dass sie eine Sauna-WM austragen oder selbst trotz widrigster Umstände nicht aufs Schwitzen verzichten wollen. Es findet sich die Sauna sogar als Zeltversion im Gepäck der finnischen Armee.
Weltweit ins schwitzen kommen
Auch wenn rund um den Globus verschiedenste Schwitzrituale entstanden sind, so tief verwurzelt wie die Sauna in den Alltag des finnischen Volks ist wohl kein anderes. Doch egal, ob die jeweiligen Schwitzrituale vom Klima geprägt wurden, wie etwa Sauna und Banja, von der Geologie wie das Onsen, von Religion und Spiritualität wie Temazcal und Inipi oder vom Bedürfnis nach Reinigung wie vor allem das Hamam – eines ist allen gleich: die Säuberung und Stärkung von Körper und Geist und absolute Tiefenentspannung.
Text: Patricia Pfister